Coming to Terms with Consumption: Theoretical and Methodological Perspectives

Coming to Terms with Consumption: Theoretical and Methodological Perspectives

Organisatoren
Cultures of Consumption Research Programme; Sustainable Technologies Programme
Ort
London
Land
United Kingdom
Vom - Bis
09.10.2003 - 10.10.2003
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Von
Uwe Spiekermann, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Der relative Vorsprung der angelsächsischen Konsumgeschichte gegenüber ihren deutschen resp. kontinentaleuropäischen Vertretern basiert nicht allein auf leistungsfähigeren akademischen Strukturen und gezielter Forschungsförderung. Er resultiert auch aus einer anderen öffentlichen Debatte über Konsum und Konsumgeschichte. Nicht ein enger Begriff von Konsumtion, sondern Kern- und Zukunftsfragen marktwirtschaftlich organisierter Demokratien stehen dabei zur Diskussion: Welche Bedeutung hat Konsum für den Einzelnen und die Gesellschaft, für deren Stabilität und Zukunftsfähigkeit? Während die Konsumgeschichte hierzulande eher gegenwartsfern agiert, damit ihr kritisches Potenzial kaum ausschöpft, versucht insbesondere die britische Forschung laufende Debatten aufzugreifen und wissenschaftlich seriös zu reflektieren.

Dazu sind aber nicht allein empirische, sondern auch und gerade theoretische und methodologische Anstrengungen von Nöten. Sie standen im Fokus des Workshops "Coming to Terms with Consumption: Theoretical and Methodological Perspectives", der vom 09.-10.10.2003 am Londoner Birkbeck College stattfand. Er war das Ergebnis der Kooperation zweier Forschungsprogramme:

1. Das Cultures of Consumption Programme (s. http://www.consume.bbk.ac.uk) wird mit 5 Mio. £ vom Economic & Social Research Council (ESRC, 80 %) sowie dem Arts and Humanties Research Board (AHRB, 20 %) gefördert. Ziel des bis 2006/2007 laufenden, von Dr. Frank Trentmann (Birkbeck College London) geleiteten Programms ist eine vergleichende Untersuchung von Konsum und Konsumkultur im globalem Kontext. Dazu wurden in einer ersten Phase 16 verschiedene Einzelprojekte bewilligt. Sie werden in der 2. Phase durch 7-8 weitere Projekte ergänzt werden - die Antragsfristen hierfür sind leider schon verstrichen. Die Projekte, ausnahmslos von englischsprachigen Forscher/innen und Institutionen geleitet, widmen sich unterschiedlichen Zeiten und Räumen, sind in der Mehrzahl empirisch, teils jedoch auch theoretisch ausgerichtet (vgl. http://www.consume.bbk.ac.uk./research.html). Parallel wurde ein Visiting Fellow-Programm ins Leben gerufen (Bewerbungen für 2004/2005 sind noch möglich), ferner verschiedene Tagungen geplant.

2. Das von Dr. Frans Berkhout geleitete, vom ESRC finanzierte Sustainable Technologies Programme (s. http://www.sustainabletechnologies.ac.uk/home) ist dagegen unmittelbar politiknah angelegt. Die Kernfrage lautet, wie technologische, organisatorische und Verhaltensänderungen bewirkt werden sollten, um größere soziale und umweltpolitische Nachhaltigkeit in Großbritannien und der EU zu ermöglichen. Das Programm startete 2002 mit sechs Projekten, von denen sich zwei explizit mit Konsum beschäftigen (vgl. http://www.sustainabletechnologies.ac.uk/projects.htm).

Der von 30 Wissenschaftler/innen besuchte Workshop zielt zum einen auf eine Standortbestimmung der laufenden Projekte, zum anderen auf die Formulierung gemeinsamer Grundbegriffe und Forschungsstrategien. Den Veranstaltern war es besonders wichtig, die Diskussion zwischen den verschiedenen Teildisziplinen in Gang zu halten. Neben Historiker/inne/n nahmen Vertreter/innen fast aller Human- und Sozialwissenschaften an der Veranstaltung teil.

Der Workshop war in zwei Teile aufgegliedert. Im ersten Teil ging es darum, den Begriff "Konsum" näher zu definieren, zugleich aber mögliche theoretische Angebote der Teildisziplinen zu formulieren.

Aus Sicht der Frühneuzeitforschung warnte Jane Whittle (University of Exeter) vor einer zu stark gegenwarts- und marktfixierten Definition, betonte demgegenüber die Existenz und Besonderheit eines vormodernen Konsums. Die gängige Forschung konzentriere sich auf vier verschiedene Bedeutungsebenen, nämlich Konsum erstens als das, was der Konsument mache, zweitens als Endprozess der Produktion und Distribution von Konsumgütern, drittens als Beschaffung und Nutzung derselben und viertens schließlich als Ausdruck von Freiheit und Wahlmöglichkeiten. Whittle, die vor dem Hintergrund eines 43 Jahre lang geführten Haushalts- und Küchenbuches eines Landadels-Haushaltes aus dem 17. Jahrhundert argumentierte, betonte, dass diese Definitionen für die Frühe Neuzeit kaum hilfreich seien. Hier müsse man vielmehr mit relativer und absoluter Knappheit umgehen, müsse zwischen verfügbaren Gütern, Wohlfahrtsniveaus und einer wesentlich stärkeren Beschränkung durch Tradition und Sitte unterscheiden. Die Trennung von Produktion und Konsumtion sei kaum möglich, handele es sich doch um zwei unterschiedliche Perspektiven einer Handlung. Nötig sei ferner die strikte Integration geschlechtsspezifischer Ansätze in die Konsumforschung, könne doch nur so die Spezifik der vormodernen Zeit analysiert und verstanden werden.

Ein deutlicher Unterschied besteht sicherlich in der rechtlichen Regulierung des Konsums. Bronwen Morgan (University of Oxford) griff diesen aus Sicht der Rechtssoziologie auf. Sie grenzte sich dabei von den zu einfachen Modellen neoklassischer Ökonomie ab, nach denen Regulierung den Rahmen und die Struktur einer Marktgesellschaft setzte. Stattdessen plädierte sie für regulationistische Ansätze (in neo-marxisitischer Tradition). Demnach wird die Konsumsphäre als Katalysator eines Kreislaufs von Produktion und Handel verstanden. Ziel der Regulierung ist ein möglichst reibungsloser Konsum. Nicht der Marktmechanismus und sein Funktionieren, sondern die Qualität der Konsumenten-Produzenten-Beziehungen stehe also im Mittelpunkt. Wichtig sei insbesondere, dass Konflikt hier als konstitutives Element von Regulierung wahrgenommen werde.

Aus Sicht der Soziologie stellte Alan Warde (University of Manchester) dann einen ambitionierten Versuch vor, Konsumforschung mit einer Theorie der Praxis zu betreiben. Seine Ausführungen basierten vornehmlich auf neueren Arbeiten von Reckwitz bzw. Schatzki 1. Konsum wurde dabei als integrales Element von Praxis verstanden. Der Theoriewechsel sei sinnvoll, weil Konsum hier nicht aus Strukturen abgeleitet, sondern als selbstbestimmte und durchaus eigensinnige Handlung verstanden werde. Diese Meinung wurde von der Mehrzahl der Teilnehmenden allerdings nicht geteilt. Nach einer mit Geduld ertragenen einstündigen Unterbrechung durch einen Bombenalarm erhitzten sich die Debatten zum einen an der Frage des Nutzens eines derartigen Perspektivenwechsels, zum anderen an der empirischen Umsetzbarkeit eines derart ambitionierten Ansatzes. Die von Warde anvisierten Quellen, Zeitbudgetstudien aus verschiedenen europäische Staaten seit Beginn der 1970er Jahre, dürften allein jedenfalls nicht ausreichend sein. Warde, der auch weitere Projekte zur Konsumforschung leitet, konzidierte dies, sah den Vorteil seines Ansatzes aber eben auch darin, dass andere theoretische Konzepte nun in einen Suchprozess nach anderen Quellen münden müssten.

Stärker politiknah argumentiert man in den Umweltwissenschaften. Tim Jackson (University of Surrey) stellte die Nachhaltigkeitsdebatte der vergangenen Dekade vor und fragte dann nach Möglichkeiten und Ansatzpunkten für nachhaltigen Konsum. Zentral sei es, die symbolische Bedeutung von Konsum und Konsumgütern angemessen zu würdigen, sie nicht als "irrational" zu denunzieren. Schließlich ergäben sich ja auch Chancen nachhaltigeren Konsums, wenn sich Konsum nicht unmittelbar an dem materiellen Wert der Konsumgüter orientiere. Es gelte vielmehr, nicht nur über andere Konsumgüter, sondern parallel über einen Bedeutungs- und Symboltransfer nachzudenken. Ein nachhaltigerer Konsum sei demnach möglich, doch werde er weder kurzfristig noch einfach zu erreichen sein.

In seinem Kommentar hob Frank Trentmann (Birkbeck College London) die Heterogenität der Ansätze hervor. Dies betreffe die lokale Reichweite, die historischen Zeiten, aber auch Unterschiede zwischen der Praxis und der symbolischen Bedeutung des Konsums und der Einschätzung der Wahlfreiheit der Konsumenten. Die einzelnen Beiträge verwiesen daher auf die erst einmal wahrzunehmende Breite des Forschungsfeldes. Diese zwinge zu einer steten Reflektion über den eigenen Standort und die Wahl möglicher theoretischer und methodologischer Ansätze.

Beachtenswert sei aber zugleich, dass die Frage von Wahlmöglichkeiten und ihren Restriktionen gleichwohl durchgehend thematisiert worden sei. Damit knüpfe man einerseits an Grundannahmen der neoklassischen Ökonomie, wie der des "souveränen Verbrauchers" oder der "Markttransparenz" an, hinterfrage und differenziere diese jedoch wesentlich. Kernproblem bleibe die in der Neoklassik eben nicht gelöste Verbindung von Mikro- und Makroökonomie, von Mikro- und Makroebene(n).

Der Workshop wurde von Nick Couldry (London School of Economics) fortgesetzt, der aus Sicht der Medienwissenschaft drei eher traditionelle Fragen stellte: Welche Medien konsumieren Menschen, wie konsumieren sie diese, und welche lang- und kurzfristigen Effekte hat dieser Konsum? Wichtig erschienen ihm vor allem die direkten und indirekten Wirkungen auf Präsentation und Inhalt von Politik. Deutlich ambitionierter waren dagegen die von Clive Barnett (University of Bristol) vorgestellten soziologischen Überlegungen zum Zusammenhang von Ethik und Konsum. Der moderne Konsum sei in zunehmendem Maße ethisch eingebettet - ungeachtet der Tatsache, dass präzise Informationen und kausale Zuschreibungen über Konsumfolgen kaum möglich seien. Für das Verständnis von Konsumkultur sei es gleichwohl grundlegend, die elementare Bedeutung von ethischen Einstellungen angemessen zu würdigen. Konsum sei als solcher ethisch, werde doch gezielt und reflektiert ausgewählt. Ethik diene zum einen dazu, auf den Konsum gezielt einzuwirken. Zum anderen aber stilisiere sich der Einzelne durch seinen Konsumstil als ethisches Wesen. Wichtig sei nicht allein Konsum, sondern gerade auch Nicht-Konsum.

Seitens der Technikgeschichte schloss sich Elizabeth Shove (University of Lancester) mit einem fundierten Beitrag zur Bedeutung der Konsumgüter an. Schließlich habe Konsum Materialität, müsse Konsum als ein Umgang mit Dingen und Objekten verstanden werden. Im Anschluss und in Weiterführung von Bruno Latours Arbeiten betonte Shove die Bedeutung von Wissen und Kompetenz im Umgang mit Konsumgütern. Es sei ferner wesentlich, den Verwendungszusammenhang von Materialien und Werkzeugen zu analysieren, insbesondere die damit konstituierte "Normalität". Am Beispiel von Toaster und Waschmaschine verdeutlichte Shove, dass gleiche Dinge sehr unterschiedlich gehandhabt, mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen versehen werden können.

Der Kommentar von Frans Berkhout (University of Sussex) hob wiederum die scheinbar noch wachsende Heterogenität der Definitionen von "Konsum" hervor. Deutlich wurde die enge Verbindung zwischen Konsum und sozialer Ordnung, außerdem das wachsende Interesse an Handlungen und Praxis. Die Frage nach dem Stellenwert von Strukturen sei aber so nicht still zu stellen. Offen und kaum behandelt sei ferner die Frage nach der Zeitlichkeit des Konsums. Zeitliche Ordnungen und die Geschwindigkeit des Konsumierens seien ebenso zu betrachten wie die Zeitlichkeit der Bedürfnisbefriedigung.

Der zweite Teil des Workshops zielte auf die zukünftige Entwicklung der Konsumforschung, insbesondere auf die Perspektiven multidisziplinärer Forschung.

Aus Sicht der Kulturanthropologie betonte Don Slater (London School of Economics), dass die meisten Arbeiten über Konsum zu stark den bekannten Modellen westlicher Marktgesellschaften verpflichtet seien. Seine Forschungen zum Internetkonsum etwa in Sri Lanka, Bangladesch und Trindad zeigten dagegen, dass Konsum von einem großen, wenn nicht von einem größeren Teil der Menschheit anders verstanden wird als von "uns"; und dies trotz grundsätzlich marktwirtschaftlich ausgerichteter Wirtschaftsweisen. Entsprechend plädierte Slater für eine Analyse des Verstehens, Aufrechterhaltens und Reproduzierens von Konsum, für eine Untersuchung der Konsumpraxis. Je nach Kontext ergäben sich ganz andere Bedeutungen, soziale Praktiken und Beziehungen. Die Idee einer umfassenden Konsumkultur erschien ihm daher vom Ansatz her verfehlt, setze diese doch westliche Marktbedingungen voraus.

Andrew Flynn (University of Cardiff) konzentrierte seine politikwissenschaftliche Analyse auf eine solche Marktgesellschaft. Seine Analyse des britischen Kartoffel- und Geflügelmarktes ergab, dass die Vorstellung einer Wahlfreiheit des Konsumenten zunehmend problematisch werde. Die wachsende Macht der großen Handelsketten führe einerseits zu einer Konzentration der Produktion, die nach den Qualitätsvorgaben des Handels agiere. Die wachsende Zahl von Produkten sei begleitet von einer schwindenden Zahl von Arten und Sorten. Generell sei der Bedeutung von (wirtschaftlicher) Macht wesentlich mehr Beachtung zu schenken als gegenwärtig üblich.

Aus Sicht der Wirtschafts- und Sozialgeschichte konnte Uwe Spiekermann (Universität Göttingen) dieses nur unterstreichen. So sehr Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte zu verstehen sei, dürfe man den Markt und die Restriktionen der menschlichen Existenz darüber nicht vergessen. Spiekermann stellte die Konturen der deutschen Konsum- und Ernährungsgeschichte vor, betonte dabei vor allem die vergleichende Analyse ost- und westdeutschen Konsums. Die Nord-Süd-Problematik möge zwar dominant sein, doch parallel berge die vergleichende Erforschung plan- und marktwirtschaftlicher Gesellschaften einen hohen Erkenntniswert. Eine multidisziplinäre Erweiterung der Konsumforschung sei zwar wichtig, keineswegs aber ausreichend. Angesichts der großen Heterogenität der Forschungsansätze, schon innerhalb der Kultur- und Sozialwissenschaften, sei es nicht sinnvoll, hier stehen zu bleiben. Konsumforschung sollte in Zukunft transdisziplinär organisiert sein, sollte dann auch die Kompetenz der Naturwissenschaften mit einschließen.

Am Ende des Workshops stand einer zusammenfassender Kommentar von Ben Fine (London School of Oriental and African Studies). Wieder einmal habe sich bestätigt, dass es keine einheitliche Theorie des Konsums geben könne. Auffällig sei jedoch zum einen der zunehmende Ausschluss ökonomischer Ansätze. Angesichts der dominanten neoklassischen Theoreme sei dies nachvollziehbar, doch damit laufe man Gefahr, wichtige Aspekte des Konsums auszugrenzen. Auffällig sei zum anderen, dass der Perspektivenwechsel in Richtung "Dinge", in Richtung "Praxis" dazu geführt habe, dass der "Kultur" (nicht nur im Sinne von Konsumkultur) nur wenig Beachtung geschenkt würde (auch wenn im Cultures of Consumption Programme mehrere Projekte in diesem Bereich forschen). Dies sei sicher kein Fortschritt. Als unmittelbare Aufgabe definierte Fine die Formulierung einer Theorie der Waren und Gebrauchsgüter einerseits ("theory of commodities and commodification"), der Nicht-Gebrauchsgüter andererseits. Moderne Konsumkulturen seien durch erhöhte Komplexität gekennzeichnet, und es gelte, das Wesen des Konsums in diesen Gesellschaften aufzuzeigen. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass es sich um kapitalistische Gesellschaften handele (ökonomisch und kulturell), dass Fragen von Gewinn und Macht nicht ausgegrenzt werden dürfen.

Die Schlussdiskussion vertiefte einzelne Positionen nochmals, insbesondere die Frage der zu einseitigen Orientierung der Konsumforschung auf westliche Konsumgesellschaften. Summa summarum dokumentierte der Workshop die Breite des Forschungsfeldes und möglicher Ansätze zu seiner Erkundung. Beeindruckend war, dass Konsumforschung in Großbritannien - aller Heterogenität der Ansätze zum Trotz - die tradierten disziplinären Zuschnitte der einzelnen Fächer teils längst hinter sich gelassen hat, dass gemeinsame Forschungsperspektiven entwickelt und diskutiert werden. Konsumgeschichte ist integraler Bestandteil der Konsumforschung, historische Ansätze und Denkweisen sind auch und gerade in den benachbarten Fächern Gemeingut.

Anmerkung:

1 RECKWITZ, Andreas: Toward a theory of social practices: a development in culturalistic theorizing, European Journal of Social Theory 5, 2002, 243-263; SCHATZKI, Theodore R./KNORR CETINA, Karin/SAVIGNY, Eike v. (ed.): The Practice Turn in Contemporary Theory, London 2001.

Kontakt

Uwe Spiekermann, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Göttingen (z. Zt. Birkbeck College, London)
E-Mail: Uwe.Spiekermann@wiwi.uni-goettingen.de